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Erschienen in: esotera 1/2001
(Seite 12-14) |
Die Wirkung sanfter Nadelstiche
Neue wissenschaftliche Studien belegen die enorme
Wirksamkeit der Akupunktur. Doch Anfang 2001 greift ein behördlicher „Bannspruch“ gegen
den Einsatz der sanften Nadelstiche. Umso wichtiger ist es künftig
zu wissen: Wogegen hilft die alte chinesische Behandlungstechnik – und
was bezahlt die Kasse?
Von Ulrich Arndt
"Medizinbürokraten
haben wieder einmal eine Entscheidung gegen die Patienten und
gegen eine im klinischen Alltag wirksame Therapie getroffen",
beklagt Dr. Gabriele Stux, Vorsitzende einer der sechs großen
Akupunkturärzte-Vereinigungen Deutschlands, der „Deutschen
Akupunktur Gesellschaft Düsseldorf". Die spektakuläre
Heilkraft der altchinesischen Nadeltechnik, bisher geradezu ein
Synonym für Alternativ- und Ganzheitsmedizin, ist den staatlichen
Gesundheitshütern offenbar ein Dorn im Auge: Der deutsche
Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen entschied
im vergangenen Oktober, dass die gesetzlichen Krankenkassen Akupunktur-Behandlungen
künftig nur noch bei drei Gruppen von Erkrankungen bezuschussen
werden: bei chronischen Kopfschmerzen, chronischen Schmerzen
der Lendenwirbelsäule und schmerzhafter Gelenkarthrose.
Alle übrigen Behandlungen muss der Patient künftig selbst bezahlen.
Obwohl die Heilerfolge dieser ganzheitlichen - und vor allem kostengünstigen
- Therapieform beeindruckend sind. So berichten rund 80 Prozent von insgesamt
1459 Teilnehmern einer von den Innungskrankenkassen (IKK) finanzierten
Studie, dass sich nach durchschnittlich zwölf Behandlungen die unterschiedlichen
Beschwerden deutlich gebessert haben.
Bei vielen Leiden bewährt
Von den Schmerzkranken waren nach einem Jahr sogar
84 Prozent völlig von ihrer Pein befreit - oftmals zum ersten
Mal seit vielen Jahren. Eine von der „Barmer Ersatzkasse" durchgeführte
Befragung ergab, dass in 60 Prozent der Fälle der Arzt dem
Patienten die Akupunktur empfiehlt, weil die Schulmedizin nicht
den gewünschten Erfolg gebracht hat.
Angesichts derartiger Erfolgsberichte ist die radikale Beschränkung
der Kostenerstattung umso verwunderlicher. Als offizieller Grund dafür
wird „die wissenschaftlich nicht gesicherte Wirksamkeit" der
Nadeltherapie angegeben. „Eine völlig willkürliche Entscheidung
und therapeutisch nicht sinnvoll", kommentiert Dr. Holger Scherf, Ärztlicher
Direktor der „Meridian"- Fachklinik für Traditionelle
Chinesische Medizin (TCM) in Badenweiler im Schwarzwald.
Fachverbands-Chefin Dr. Gabriele Stux betont: „Diese Begrenzung
der Akupunktur auf Schmerzbehandlungen ist wissenschaftlich nicht begründet
und widerspricht der Bewertung des 'National Institute of Health' (NIH),
des Bundes-Gesundheitsinstituts der USA."
„Besonders erfolgreich
ist die Akupunktur neben Schmerzbehandlungen auch bei Allergien
und Schlafstörungen"
Tatsächlich kamen die amerikanischen Gesundheitshüter
zu einem ganz anderen Urteil als ihre deutschen Kollegen: Das NIH
empfahl 1997 sogar ausdrücklich die Kostenübernahme für
Akupunktur durch die Kassen. Und zwar nicht nur bei chronischen
Schmerzen, sondern bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen, für
die ihrer Meinung nach die Wirksamkeit bereits abgesichert ist.
Auch eine offizielle Liste von der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) nennt immerhin 39 bewährte Anwendungsgebiete und stellt
klar: „Fachgerecht angewandt, kann die Akupunktur als praktisch
nebenwirkungsfreie Methode bei den meisten Krankheitszuständen
einen lindernden Effekt erzielen."
Aus praktischer Erfahrung heraus können das viele Akupunkteure bestätigen: „Besonders
erfolgreich ist die Akupunktur neben Schmerzbehandlungen auch bei Allergien,
Schlafstörungen, allgemeinen Schwächezuständen und einigen
vegetativen Störungen wie häufig kalten Händen und Füßen",
berichtet beispielsweise Dr. Wolfgang Weck, Chefarzt der Tauberland-Klinik,
einer Spezialklinik für Ganzheitsmedizin und Naturheilverfahren
in Bad Mergentheim.
Wo Akupunktur hilft |
Nach der traditionellen chinesischen
Medizin kann die Akupunktur praktisch bei allen Leiden regulierend
eingesetzt werden. Im Rahmen der traditionellen chinesischen
Medizin (TCM) geschieht das meist in Verbindung mit chinesischen
Heilkräutern, Ernährungsempfehlungen oder Tipps zur
gesunden Lebensweise.
Nach den strengen Richtlinien des amerikanischen „National
Institute of Health" ist die Wirksamkeit als Haupttherapie belegt
bei: Übelkeit und Brechreiz nach Chemotherapie und Operationen,
Zahnschmerzen nach Operationen, Übelkeit in der Schwangerschaft;
Wirksamkeit als ergänzende oder alternative Behandlung belegt
bei: Asthma bronchiale, chronische Knochen- und Gewebsschmerzen,
Kopfschmerzen und Migräne, Menstruationsschmerzen, Rehabilitation
nach Schlaganfällen.
Nach den Erfahrungen deutscher Spezialkliniken besteht zudem eine
hohe Wirksamkeit auch bei: Allergien, Schwächezustände,
Blutdruck-Störungen, Darmverkrampfungen, häufig kalten
Händen und Füßen, Nervenschmerzen, Phantomschmerzen,
Rückenschmerzen, Suchterkrankungen, Tennisellbogen, verschiedene
vegetative Störungen wie Herzjagen. |
Studien der letzten Jahre gerade auch aus Deutschland
und Osterreich haben weitere wichtige Beweise für die Wirkkraft
der „sanften Nadelung" erbracht: Prof. Gerhard Litscher
von der Universitätsklinik für Anästhesiologie und
Intensivmedizin in Graz wies mit Hilfe einer speziellen Methode
der Ultraschall-Messung eine sofortige, ganz gezielte körperliche
Reaktion als Folge einer Akupunktur-Behandlung nach: Wenn die Versuchsperson
an Punkten genadelt wurde, die nach traditionellen Vorstellungen
die Sehkraft steigern sollen, erhöhte sich die Blutfluss-Geschwindigkeit
in der Augenarterie.
„Jeder
Nadelstich bedeutet für die Akupunkturärzte bei privater
Abrechnung ein gutes Zusatzeinkommen"
Eckhard Schüpeta stellvertretender
Vorstands-Vorsitzender der DAK
Das wurde durch Untersuchungen per Kernspin-Computer-Tomographie
an der Universität von Kalifornien bestätigt. Wenn der
Physiker Zang-Hee Cho seine Probanden an den „Augenpunkten" am
Fuß nadelte, zeigte sich eine Aktivität in jenem Hirnbereich,
der für das Sehen verantwortlich ist. Stach er die Nadeln
neben diese Punkte, geschah nichts.
Was die Kasse bezahlt |
Bisher prüften die gesetzlichen Krankenkassen
in jedem Einzelfall, ob die Kosten (zwischen 70 und 120 DM
pro Sitzung) erstattet werden. Ab 2001 erstatten nach neuem
Konzept zum Beispiel:
Gesetzliche Krankenkassen:
- AOK
Erstattung nur bei chronischen Schmerzzuständen. Die Höhe
der Bezuschussung variiert je nach Ortskasse.
- Barmer, DAK
bei chronischem Kopfschmerz, Migräne und Schmerzzuständen
des Bewegungsapparates, Höhe des Eigenanteils noch offen
- KKH, HEK, TKK
Im Rahmen eines Modellvorhabens werden 90% der Kosten bis maximal
70 Mark pro Sitzung übernommen bei: Kopfschmerzen und
Migräne, Menstruationsbeschwerden, Halswirbel- und Lendenwirbel-Syndrom,
allergischer Rhinitis und allergischem Asthma
- andere
noch offen
TIPP: Zusatz-Krankenversicherungen übernehmen
einen Großteil der Kosten auch bei Akupunktur-Behandlungen.
Der monatliche Beitrag variiert je nach Anbieter, Leistungsumfang
und Eintrittsalter. Die Kosten hierfür könnten vielfach
durch einen Wechsel in eine preiswertere gesetzliche Krankenkasse
(z.B. Betriebskrankenkassen) eingespart werden. Zum Beispiel erstatten:
Kranken-Zusatzversicherungen:
Kasse |
Tarifart |
Monatsbeitrag bei einem Eintrittsalter
von 40 Jahren Frauen / Männer |
Jährliche Erstattung vom Höchstsatz
im Leistungskatalog der Heilpraktiker, darunter auch Akupunktur |
ARAG |
"282" |
16,85 DM / 13,70 DM |
50% der Rechnung bis maximal 500 DM im
Jahr |
Barmenia |
"EA" |
28,74 DM / 21,86 DM |
100% des Mindestsatzes bis maximal 1000
DM pro Jahr |
securvita |
"vita-basic" |
50,00 DM / 35,70 DM |
60% (bei Jahresabrechnung 80%) bis max.
2500 DM im Jahr |
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Auch zahlreiche weitere Studien belegen, dass die
chinesische Therapie nicht nur bei Schmerzen hilft:
- Einen messbar positiven Einfluss auf das Immunsystem stellte Stefanie
Joos von der Universitätsklinik Erlangen fest. Bei 19 asthmakranken
Probanden stieg nach der Nadelung die Anzahl der Abwehrzellen gegen den
Allergieauslöser im Blut weit höher als in der Vergleichsgruppe,
bei der die Nadeln etwas neben die echten Punkte gesetzt wurden.
- An der Universitätsklinik Bochum wurde in einer Doppelblindstudie
ein positiver Einfluss bei Depressionen und Angstzuständen festgestellt.
- Eine Studie an der Universitäts-Frauenklinik-Mannheim mit 329
Erstgebärenden ergab, dass eine wöchentliche Akupunktur in
den letzten Schwangerschaftswochen die Geburt erheblich erleichtert und
um durchschnittlich zwei Stunden verkürzt.
Positive Untersuchungsergebnisse zur Akupunktur wurden bisher von Skeptikern
meist mit dem Argument bezweifelt, die Patienten könnten sich eine
Heilwirkung nur „einbilden" (der so genannte „Placebo-Effekt").
Um das endgültig zu prüfen, konstruierte Dr. Konrad Streitberger
von der Anästhesiologie am Universitätsklinikum Heidelberg
eine wirkliche Placebo-Nadel: Wie bei einem Theaterdolch schiebt sich
deren Spitze nach einem kurzen Piksen beim Aufsetzen auf der Haut in
den Schaft zurück. Ein Pflaster, durch das die Nadel gestochen wird,
hält sie fest. Für die Testperson ist kein Unterschied zum
richtigen Einstich feststellbar. In einer Studie an 52 Patienten mit
Schultersehnen-Entzündung konnte Streitberger belegen, dass die
echte „Nadel-Kur" der Placebo-Behandlung deutlich überlegen
ist.
Die Wirksamkeit der Akupunktur ist also keineswegs zweifelhaft, sehr
wohl aber mitunter ihre Anwendung: eine Folge des Booms, den diese bestechende
Behandlungstechnik im Westen erlebt. Sie wird heute bereits von etwa
15 Prozent der deutschen Ärzte (das sind zirka 35 000) angeboten.
Rund 1,5 Millionen Patienten pro Jahr werden in Deutschland „genadelt". „Mit
der enormen Ausweitung ist jedoch ein beunruhigender Qualitätsverfall
einhergegangen", beklagt Verbands-Chefin Dr. Stux. „Viele Ärzte
praktizieren diese komplexe Therapie bereits nach dem Besuch von wenigen
Wochenendkursen."
Merkmale guter Behandlungen
Eine eigene Zusatzbezeichnung für Ärzte,
die an bestimmte Qualifikationen geknüpft ist, könnte
hier Abhilfe schaffen. Gerade die Akupunkturärzte im Bundesausschuss
aber stimmten geschlossen dem Erstattungsverbot für Akupunktur-Behandlungen
zu - aus finanziellem Interesse, mutmaßt Eckhard Schupeta,
stellvertretender Vorstands-Vorsitzender der DAK: „Jeder
Nadelstich bedeutet für sie ein gutes Zusatzeinkommen" -
sofern er eben privat berechnet werden kann.
Woran aber kann man als Patient eine unzureichende Behandlungsweise erkennen?
Mangelhaft sind laut Patienteninformation von Fachverbänden beispielsweise
Behandlungen, bei denen weniger als 12 Nadeln verwendet werden. Nicht
fachgerecht ist es auch, wenn die Nadeln nur im Bereich der Problemzone,
aber nicht an den wichtigen „Fernpunkten" - zum Beispiel an
den Füßen - gesetzt werden (anders bei der Ohrakupunktur,
wo nur dort genadelt wird). Die Nadeln sollen 15 bis 30 Minuten in der
Haut verbleiben, wobei sie zwischenzeitlich mindestens einmal durch Bewegen
stimuliert werden müssen.
Wie die Akupunktur eigentlich funktioniert, ist wissenschaftlich allerdings
nach wie vor ungeklärt.
Der „Erforschung" soll daher laut offizieller Verlautbarung
auch die Neuregelung der Kassen-Zuschüsse für Akupunktur dienen.
Der Arzt soll die Behandlung auf speziellen Erhebungsbögen dokumentieren,
die dann von Wissenschaftlern ausgewertet werden. Allerdings werden im
Rahmen dieser so genannten „Modellvorhaben" künftig nur
6 Sitzungen statt der für eine sinnvolle Behandlung üblicherweise
nötigen 10 bis 12 Sitzungen bewilligt. Verlängerungen müssen
vom Arzt ausführlich begründet werden.
Bis zur Veröffentlichung dieser neuen Kassenrichtlinien
im Bundesanzeiger - frühestens zum Jahresende 2000 - wird
die alte Regelung weiterbestehen. Bis dahin wird hinter den Kulissen
noch heftig gerangelt. Die Kassen wollen nämlich durchaus
mehr erstatten, denn Akupunktur ist für sie eine relativ kostengünstige
Behandlungsform und - nach dem Verbot für viele naturheilkundliche
Arzneimittel (s. esotera 11/2000, „Heilen verboten"),
das Ende Juli 2001 in Kraft tritt - die wichtigste Alternativmethode überhaupt.
Sie eignet sich nämlich ausgezeichnet für die Werbung
im Wettbewerb der freien Kassenwahl, da das Nadeln die bekannteste
und beliebteste Alternativ-Behandlung ist: 94 Prozent der Deutschen
kennen den Begriff Akupunktur. 25 Prozent haben bereits selbst
Erfahrungen mit den „heilsamen Nadelstichen" gemacht.
Akupunktur ist damit sogar noch bekannter als Yoga, Heilfasten
oder Psychotherapie. Das ergab eine im Vorjahr durchgeführte
repräsentative Umfrage des „Instituts für Demoskopie
Allensbach". Sie bescheinigte der Akupunktur auch ein sehr
gutes Image: 64 Prozent der Befragten finden diese Therapieform
sympathisch.
Nähere Informationen: |
- Literatur:
- Carsten Klemann: „Chinesische Heilkunst heute. Von Akupunktur
bis Tui Na", Urania-Ravensburger, Berlin 1999
- Frank Ros: „Geheimnisse ayurvedischer Akupunktur",
Windpferd Verlag, Aitrang 1995
- Internet:
www.agtcm.de, www.akupunktur-aktuell.de (mit Adressen von Akupunktur-Ärzten),
www.datadiwan.de, www.sht-forum.de
- Patienteninformation:
Patienteninformation für Naturheilkunde e.V., c/o UFA-Fabrik,
Viktoriastr. 1018, 12105 Berlin, Tel.: 030/76008760, Fax: 76008761;
- Therapeutenliste der „AG für Klassische Akupunktur
und TCM e.V" gegen Rückporto bei: Michael van
Gorkom, Wisbacher Str. 1, 83435 Bad Reichenhall
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Bildquellen: ©Harald Wanetschka / www.pixelio.de, ©Eckhard Schüpeta www.pixelio.de |